Bewertung: 6

Alan Bennett – Die souveräne Leserin

Bewertung: 6 Kronen

 

Im Alter von 80 Jahren erliegt Queen Elisabeth II. der Macht der Literatur. Alan Bennetts Fiktion über die Menschwerdung einer Ikone. Auch in Deutschland ein Bestseller.

Als Queen Elizabeth II. eines Tages ihre ungezogenen Hunde im Schlossgarten jagt, entdeckt sie den Bücherbus der Gemeinde. Dort trifft sie neben dem Bibliothekar auch Norman, einen Küchenjungen aus ihrem Palast, der leidenschaftlich gerne liest.

Die Queen leiht aus Höflichkeit ein Buch einer gewissen Ms. Compton-Burnett, das sich als sperrig erweist. Aber ihre Leselust ist geweckt. Mit dem Bücherkenner Norman schließt sie so viel „Freundschaft“, wie es einer über 80-jährigen Monarchin möglich ist: Sie macht ihn zum „Pagen“, in Wirklichkeit zu ihrem persönlichen Assistenten in literarischen Fragen.

Sie, die ihr Leben lang eine praktisch veranlagte, schnörkellose Frau der Tat war, wird zur begeisterten Leserin. Zuerst liest sie unsystematisch, später immer gezielter. Im Gespräch mit Norman, der zuerst noch ihre Bücherlisten zusammenstellt, schärft sie ihren Geschmack und ihre Urteilskraft. Im Laufe der Zeit wählt sie ihre Bücher dann immer selbstständiger aus. Aus Elizabeth II., Königin des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland, wird im wahrsten Sinne des Wortes „die souveräne Leserin“, so der deutsche Titel des kleinen, feinen Romans von Alan Bennett.

Nicht nur ihr Horizont erweitert sich, auch ihr Verständnis und ihre Sympathie für andere Menschen wachsen. Zudem beginnt sie, ihre Pflichten nachlässiger zu erfüllen. Sie kleidet sich nicht mehr ganz so akkurat, registriert nicht mehr jede Unzulänglichkeit ihrer Mitmenschen, denn ihre Aufmerksamkeit wird von der Literatur beansprucht. Repräsentative Pflichten werden ihr lästig, die Gespräche mit ihren Untertanen weniger stereotyp und damit überraschender und damit gefährlicher, weil weniger vorhersehbar für die Protokollbeamten.

Die Veränderung der Queen ist vielen am Hof ein Dorn im Auge, und nicht nur ihr Privatsekretär versucht, wieder die disziplinierte, fehlerlose Repräsentantin aus ihr zu machen. Denn, wie die Queen am Anfang selbst noch weiß: Eine Königin hat keine Interessen zu haben, schon gar keine eskapistischen wie Lesen, sie hat Interesse an ihren Untertanen zu zeigen und niemanden durch persönliche Hobbies auszuschließen. Die Höflinge schrecken auch vor Intrigen nicht zurück, um sie dem „Einfluss“ des neuen Pagen und der Bücher zu entziehen. Aber die Veränderung ist unumkehrbar, die Königin hat neue Welten entdeckt. Sowohl die Welt der Bücher als auch die „reale“ Welt sind ihr bewusster und verständlicher geworden. Schließlich wird ihr auch ihre eigene herausgehobene Rolle und die damit einhergehende Verantwortung klar.

Über den Autor

Alan Bennett, 1934 in Leeds geboren, hat in Oxford studiert und kurzzeitig auch unterrichtet. Anfang der 1960er Jahre trat er beim Edinburgh Festival auf; seitdem arbeitet er als Autor, Schauspieler und Regisseur für Theater, Radio, Film und Fernsehen.
In Großbritannien gilt er als einer der führenden Bühnen- und Drehbuchautoren, die von ihm geschriebenen TV-Serien, in einigen wirkte er auch selbst mit, mit ihren spitzzüngigen Dialogen haben längst Kult-Status erreicht. Er erhielt zahlreiche Preise und Ehrungen, u.a. für das Theaterstück und den darauf basierenden Film “The Madness of King George” (deutscher Titel: King George: Ein Königreich für mehr Verstand), für dessen Drehbuch er 1995 für den Oscar nominiert war. Bennetts wenige Erzählungen und seine Erinnerungen waren Bestseller.

Diskussion zum Thema

Alle stimmen überein: wir haben ein Weihnachtsgeschenk-Buch gelesen. Warum hat Gräfin 6 das Buch vorgeschlagen? Ein dünnes Buch, eine dünne Zusammenfassung, die reizvoll ist, ein schöner Umschlag. Der Titel stach ihr sofort ins Auge, denn wir werden doch damit direkt angesprochen: Die souveräne Leserin. Wunderbar. Sie fand das Thema königlich genug für uns. Resümee: Schade, ist es do dünn.

Gräfin 6: Sie war begeistert, amüsierte sich super und fand Gefallen an der zugänglichen Queen. Sie kam so liebenswert rüber. Obwohl, natürlich ist alles Fiktion, man weiss das, aber sieht gerne mal darüber hinweg. Dennoch, man könnte sich vorstellen, dass es so sein könnte. Das Buch warb um viel Sympathie für die Queen, obwohl die Monarchie nicht kritiklos dargestellt wurde. Das starre Hofzeremoniell wurde öfters mit pointierten Seitenhieben traktiert. Das Tempo der Geschichte war perfekt.

Gräfin 4: Sie war sehr gespannt auf heute Abend, wie uns das Buch gefallen hat. Sie hat die Geschichte gern gelesen, hat am Tempo und der Sprache Gefallen gefunden. Sehr speziell und amüsant fand sie die Intrigen, die im Hofstaat gegen die Queen gesponnen wurden. Doch es störte sie, dass die Queen als Machtperson dies mit sich geschehen liess. Warum holte sie Norman nicht zurück? Dennoch, die Story war gut, schön, speziell, von Anfang bis zum Schluss überzeugend. Aber kein Lieblingsbuch.

Gräfin 5: Sie hat sofort mit Lesen begonnen und verschlang Seite um Seite mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Sie empfand die Freude des Autors an der Literatur mit. Beim Lesen hat sie alle Autoren, die erwähnt werden, herausgeschrieben. (Sie wird die Liste mit dem Protokoll mitliefern.) Es ist ein gelungenes Buch über Bücher. Dennoch war es nie belehrend und man fühlte sich nie zu wenig gebildet, man spürte nie den erhobenen Zeigefinger, weil man das Lesen wichtiger Literaten bisher unterlassen hat. Eine Schlussfolgerung merkte sie sich besonders: Es ist interessanter, Schriftsteller zu lesen als ihnen persönlich zu begegnen, weil es dann durchaus sein kann, dass es Langweiler sind. Die Queen ist am Lesen zusätzlich gereift. Dies zeigt sich an der Stelle über Jane Austen. Im Bezug auf Norman, der ihr die ersten Tipps gab, ist Gräfin 5 der Meinung, dass er einfach ersetzbar ist, wie so viele „Bezugspersonen“ im Leben der Queen. Das hat sie in ihrem Alter bereits bestens akzeptiert. Dennoch hat sie, als sie den Betrug aufdeckte, harte Konsequenzen gezogen. Ein sehr geistreiches Buch, das sie unbedingt zum Lesen empfiehlt. Sie hat Mühe, sich für ein Zitat zu entscheiden, weil ihr an diesem Buch schlicht fast alles gefallen hat und sie viele gute Aussagen darin fand. Notiz am Rande: Kürzlich sah sie die Queen im TV beim Winken und hat sich dann gefragt, ob sie wohl nun in einem Buch läse????

Gräfin 2: Sie war total, absolut begeistert. Selten hat sie sich so köstlich amüsiert, musste laut lachen. Das Tempo der Geschichte war gut dosiert, am Schluss hat Bennet nochmals richtig Gas gegeben. Der Autor ist intelligent, intellektuell, sehr belesen, aber nicht abgehoben. Wehrmutstropfen: Zuwenig Quervergleiche sind möglich. Alles in allem: Ein Genuss zu lesen!

Gräfin 1: Sie teilte das Lesen in zwei Tranchen auf, im Moment hat sie einfach zu viel um die Ohren. Am Anfang war sie etwas verwirrt. Was ist das? Eine zu lange Kolumne? Sie sah sich gezwungen, beim Lesen zwischen Inhalt und Reflektion hin und her zu springen. Und: Was soll das mit der Queen? Wäre es nicht einfacher gewesen, eine beliebige ältere Dame als Hauptprotagonistin zu wählen? Das machte ihr Mühe, denn was soll sie mit der Queen? So sah sie die an sich sehr schöne, sinnige Geschichte etwas vergällt. An sich gefiel ihr die Geschichte, sie war wundervoll erzählt, mit viel schönem, gutem Sinn für Humor. Der Schluss ist genial, etwas vom Gelungensten seit Langem. Genau so muss es aufhören, das gibt einen Extrapunkt!

Gräfin 3: Anmerkung zu vorher: Das Buch ist in ihren Augen richtig besetzt. Denn eigentlich sollte die Queen, so ihre Ansprüche an sich selbst, über allem und allen stehen, das kann sie aber nicht. Niemand kann das, es gibt so viele Gedanken und Ideen, die uns nie zugänglich sein werden, wir können alle, auch die Queen nicht, alles gelesen und gedacht haben.

Sie hat das Buch in zwei Tagen durchgelesen. Ein grosses Schmunzeln lag dauernd auf ihren Lippen. Ihr hat die Sprache extrem gefallen, die Idee mit dem Bücherbus im Park fand sie brillant als Einstieg in die Geschichte. Übersetzungsfrage. Wenn in der deutschen Übersetzung „man“ für die Queen steht, kann das auf Englisch nur „one“ heissen. (Schliesslich gibt es ja auch nur eine/one Queen.) Es wäre dann etwas geschlechtsneutraler im Original als in unserer Sprache. „Die souveräne Leserin“ ist ein Buch über Bücher, nie belehrend aber öffnet Türen und erweitert den Horizont. Das einzige, was ihr nicht gefallen hat: Die zu kurze Länge des Buches! Es war einfach zu dünn. Aber vielleicht, wenn es mehr gewesen wäre, hätte es zu langweilen begonnen? Von sich aus hätte sie das Buch nicht gelesen, weil sie sich immer auf dicke „Schunken“ stürzt. Sie kam sich oft vor wie die Queen: Sie lernt durch lesen. Denn sie liest nicht nur zum Vergnügen. Also war es für sie und die Queen eine Bereicherung.

Zitate

Gräfin 4: S. 8 „Ihr Beruf verlangte, Interesse zu zeigen, aber keine Interessen zu haben.“

Gräfin 5: S. 22; „Information ist kurz, bündig und sachlich. Lesen ist ungeordnet, diskursiv und eine ständige Einladung. Information schliesst ein Thema ab, Lesen eröffnet es. “

Gräfin 6: S. 29 «Bücher sind kein Zeitvertreib. »

Gräfin 3: S. 46 «Für mich, so schrieb sie, ist Literatur ein riesiges Land, zu dessen fernen Grenzen ich mich aufgemacht habe, die ich aber unmöglich erreichen kann. Und ich bin viel zu spät aufgebrochen. »

Gräfin 1: S. 71 „Ich muss zwar die ganze Zeit wie ein Mensch wirken, aber selten einer sein. Dafür habe ich meine Leute.“

Gräfin 2: S. 97 «Man legt sein Leben nicht in seine Bücher. Man findet es in ihnen. »

Zum Weiterlesen

  • Cosi fan tutte

  • Die Lady im Lieferwagen

  • Vatertage: Beziehungsgeschichten