Bewertung: 5

Alex Capus – Léon und Louise

Bewertung: 5 Kronen

 

Die Geschichte beginnt mit der Beerdigung von Léon Le Gall 1986 in der Kathedrale von Notre Dame. Die Feier wird gestört von einer Fremden, älteren Dame, die schnurstraks zum offenen Sarg geht, mit einer Fahrradklingel klingelt und sie Léon als Grabbeigabe hineinlegt. Alle wissen, wer diese Frau ist, doch keinem wurde sie jemals vorgestellt. Dies ist die Ausgangslage, um das Leben von Léon Revue passieren zu lassen.

Er kommt 1901 an der Küste der Normandie zur Welt. Während des Ersten Weltkrieges braucht die Kriegswirtschaft jede fleissige Hand. Deshalb verlässt Léon gegen den Willen seines Vaters Schule, Heimatdorf und Meer und geht als Morseassistent in ein Städtchen „irgendwo zwischen Schnittlauch und Stangenbohnen“. Drei Tage fährt er mit dem Fahrrad zu seiner neuen Arbeitsstelle. Auf dieser Reise wird Léon von einem jungen Mädchen überholt. Von da an geht sie geht ihm nicht aus dem Kopf, wenngleich es mehrere Wochen dauert, bis sie eines Abends endlich ins Gespräch kommen. Die geheimnisvolle Louise fasziniert ihn über alle Massen, ihr Hintergrund bleibt aber für ihn und die Leser im Dunkeln. Sie treffen sich regelmässig und beschliessen, eine Radtour zum Meer zu unternehmen. Dort kommt es zum ersten Kuss. Die Romanze wird auf der Heimfahrt durch einen Bombenhagel jäh beendet. Léon ist verwundet, Louise verschwunden.

Mehr als ein Jahrzehnt später sehen sie sich in Paris überraschend wieder, was Léon äusserst durcheinander bringt. Mittlerweile ist Léon nämlich mit Yvonne verheiratet und stolzer Vater. Eigentlich trifft er Louise, die „Tippmamsel“ bei der Banque de France ist, nur für ein paar Stunden. Danach hält er sich an das von ihr eingeforderte Versprechen, keine Versuche zu unternehmen, sie zu sehen, zu treffen oder zu beobachten.

Jahre später, im Zweiten Weltkrieg, als die Wehrmacht Paris besetzt, muss Louise helfen, das Staatsgold in Afrika in Sicherheit zu bringen. Die Police Judiciaire, Léons Arbeitsplatz, wird von der Wehrmacht übernommen, so dass er nun missmutig für einen NS-Hauptsturmführer arbeiten muss, bis schliesslich auch dieser Krieg vorbei ist.

Yvonne spürt, dass Léon ihr nicht mehr gehört. Hat sie während des Krieges wie eine Löwenmutter für die Kinder und die Familie gekämpft, lässt sie sich in den folgenden Friedenszeiten gehen, verlässt das Haus nicht mehr und lebt wie eine Katze, sie sucht sich ein warmes Plätzchen in der Wohnung und freut sich aufs Essen. Yvonne bringt Louise und Léon noch zu ihren Lebzeiten wieder zusammen. Die beiden treffen sich jeden Mittag auf seinem Boot am Hafen. Nach Yvonnes Tod unternehmen sie zusammen eine lange Bootsfahrt.

Über den Autor

Alex Capus, geboren 1961 in der Normandie, zog mit seiner Mutter fünf Jahre später nach Olten. Er studierte in Basel Geschichte und Philosophie und arbeitete u.a. als Journalist für die Schweizerische Depechenagentur. Er lebt heute mit seiner Familie als freier Autor in Olten. 1994 veröffentlichte er seinen ersten Erzählungsband „Diese verfluchte Schwerkraft“, dem seitdem neun weitere Bücher mit Kurzgeschichten, Romanen und Reportagen folgten. Zuletzt erschienen „Leon und Luise“ (Roman, 2011), „Fast ein bisschen Frühling“ (Roman, 2012) und „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer (Roman, 2013).

Diskussion zum Thema

Gräfin 1 kannte den Autor vom Hören sagen und liess sich von der Liebesgeschichte begeistern. Ihr Vorschlag basierte auf den tollen Kritiken.

Gräfin 1: Sie las dieses Buch denn auch in einem Zug durch. Wortschatz, Stil und Inhalt gefielen ihr sehr. Aber…war das wirklich eine Liebesgeschichte? Für sie eher nicht. Zwei Menschen haben eine Verbindung im Leben, gehen aber pragmatisch ihren vorgegebenen, von ihnen erwarteten Weg. Sie spürte die Liebe zwischen den beiden nicht. Und bleibt durch die ganze Geschichte hindurch aussen vor. Léon war als junger Mann aufmüpfig und als alter Mann unangepasst. Der Rest seines Lebens gab er sich den Konventionen hin. Es war nicht spannend, aber die Zeit, die Umgebung, das Leben von damals, das war interessant und lesenswert. Um drei Hauptfiguren dreht sich die Geschichte: Léon, Louise und Yvonne. Der Erzähler, eigentlich der Enkel von Léon und Yvonne, kam zu wenig heraus. Warum nochmal will er uns diese Geschichte erzählen? Eigentlich waren alle Personen im Buch lebendig, ausser vielleicht Yvonne, erst hat sie im Krieg alles organisiert und dann wird sie von der Fresssucht heimgesucht. Sie blieb ihr fremd, wie eigentlich auch Léon, der war sehr still. Louise hatte zu wenig Auftritte, dennoch war sie die interessanteste Person. Warum kam sie so wenig vor? Im Buch gab’s witzige Zitate, Metaphern. Alles in allem hat ihr das Buch gut gefallen, nur den Hype drum versteht sie nicht ganz. Sie ist nicht direkt enttäuscht, aber sie hat mehr erwartet. Sie Sehnsucht der beiden nacheinander kam einfach nicht rüber. Der mittlere Teil der Geschichte war ihr zu konstruiert.

Gräfin 3: Sie empfand Louise ganz klar als Hauptfigur. Ihre Aussagen waren toll. Der Brief aus Afrika war der Höhepunkt des Buches. Sie verkörpert das Unkonventionelle. Gräfin 3 spürte Louise am meisten, war zwar in der Geschichte lange verschwunden, hatte aber imposante Auftritte, spielte eine tragische Rolle und brachte wichtige Aussagen. Sie war nicht in Verpflichtungen und Reproduktionen eingebunden. Die Liebesgeschichte gefiel ihr sehr gut, sie spürte die tiefe Liebe, verstanden sich ohne Tratra, eine Seelenverwandtschaft, magnetische Anziehung, nicht nur eine Affäre oder eine Schwärmerei. Das andere Leben der beiden bestand aus Verpflichtung, treue und Konventionen. Es ist eine grosse Liebe. Leider macht Capus den Bezug nicht zu der Zeit, als mit dem Tod von Yvonne die Konventionen wegfallen. Warum steht Léon dann nicht zu Louise?

Gräfin 5: Sie hat ebenfalls viel Liebe gespürt in er Geschichte. Wären sie so eng gewesen, wenn sie ihr Leben miteinander gelebt hätten? Je weiter und später, desto näher kamen sie sich. Blieb es Liebe, weil sie nicht zusammen waren? Sie hatten am Ende des Lebens gute 20 Jahre miteinander! Ist das ein Happyend? Seine eigene Frau hat ihm seine grosse Liebe zurückgebracht. Zu der Begegnung zwischen Yvonne und Louise hätte sie gerne zwei-drei Sätze mehr gelesen. Das war eine Schlüsselszene, die den Frauen alleine gehörte, die das Leben des Mannes aufmischte, den sie liebten. Danach genoss Yvonne noch das Gnadenbrot, liess es sich zu Hause bei Essen und Ofen gut gehen, und kümmerte sich um nichts mehr. . Léon hatte Yvonne nicht ungern, deshalb blieb er auch bei ihr, sie wäre untergegangen mit den Kindern, wenn er sie verlassen hätte. Nun hatte sie ihre Ruhe und er seine Louise. Schräg war der Auftritt von Louise auf der Beerdigung, als hätte es sie nicht gegeben für die Familie, obwohl jeder von ihr wusste. Wo ist sie nachher hin? Warum nahm Léon sie nach dem Tod von Yvonne nie mit nach Hause, wollte er sie nicht in der Familie? Das Ganze war etwas mysteriös.

Die Sprache gefiel ihr sehr gut, einfach und rund zu lesen, liebevoll beschriebene Figuren. Es geht um die kleinen Dramen, wie kam der kleine Mann unbescholten durch den Weltkrieg.

Gräfin 2: Capus ist unbestritten ein begnadeter Erzähler. Bildreich, schöne Sätze, gute Vergleiche. Aber dennoch wuchsen ihr die Personen nicht ans Herz. Es war einfach zu wenig lebendig. Man nehme zwei Menschen, die sich nicht treffen können, nicht zusammen sein können, Der Krieg war zu wenig behandelt, wo waren die Toten? Die Zerstörung? Alles war zu phlegmatisch. Am liebsten hätte sie Léon geschüttelt. Yvonne mit ihren Ausbrüchen war da schon mehr spürbar. Alles war in einem flüssigen Stil auf hohem Niveau geschrieben. Das Tempo ist immer gut und es gibt kaum Hänger. Der Showdown am Schluss ist super.

Gräfin 4: Sie hat das Buch schnell ausgelesen. Es war einfach geschrieben, schöne Sätze, stilsicher. Die Briefe gefielen ihr besonders, aber sie wartete immer darauf, dass endlich etwas passierte. Keiner reagierte je auf diese Briefe! Warum tauchte diese nie auf? Warum bewirkten sie nichts? Die Menschen waren gut beschreiben, so konnte sie sich auf sie einlassen, hatte Verständnis für alle. Familien funktionieren zum grossen Teil so, Er war ein Mann und lebte seinen Teil alleine. Aber warum verliess Louise Afrika nicht? Der Schluss ist gut aufgelöst, hält, was der Anfang verspricht. Alles ist abgerundet, aber es fehlte einfach etwas. Wie Gräfin 1 zu Beginn betonte, wo war die Liebesgeschichte?

Gräfin 6: Ihr gefiel das Buch. Doch sie versprach sich mehr von Léon. Am Anfang war es spannend, bis er nicht mehr aktiv sein Leben bestimmen konnte. In dieser Zeit war das halt auch nicht anders möglich und üblich. Besser anfreunden konnte sie sich mit Louise, die sich als unabhängige, exzentrische Person nicht Verbindlichkeiten hingab. Passten sie überhaupt zusammen? Gräfin 6 erwartete eine wilde Geschichte, aber da wurde sie enttäuscht. Léon hatte sein Familienleben, Louise wollte sich da nicht hineindrängen. Es ist eine sehr schöne Geschichte, keine Minute langweilig, alles in allem sehr gefällig. Aber eine Liebesgeschichte ist es nicht, eher ein authentischer Gesellschaftsroman.

Zitate

Gräfin 1 S.11 „Ich teilte den morbiden Humor und die fröhliche Melancholie meiner Brüder, Väter und Grossväter, und ich bin gern ein le Gall.“

Gräfin 4: S. 99 „Er war zu einem Mann von einiger Lebenserfahrung herangewachsen, und nach fünf Jahren Ehe war ihm bekannt, dass die Seele einer Frau auf geheimnisvolle Weise in Verbindung steht mit den Wanderungen der Gestirne, dem Wechselspiel der Gezeiten und den Zyklen ihres weiblichen Körpers..“

Gräfin 5 S. 185 „Du bist nur eine der vielen Leerstellen, die ich durch mein Leben trage..“

Gräfin 6 S. 189 „..auch wüsste ich nicht was zu sagen, wenn ich die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv hätte.“

Gräfin 2 S. 249 „Er legte ihr den Arm um die Taille, und sie trug ihre friedlich schlafende Geduldsprobe, die nun für ein paar Jahre und Jahrzehnte bei ihnen zu Besuch sein würde, die Treppe hoch“

Gräfin 3 S. 275 „Da kannst du mal sehen, Gelächter ist die Waffe der Machtlosen. Macht lacht nicht.“

Zum Weiterlesen

  • Himmelsstürmer. Zwölf Portraits

  • Eine Frage der Zeit (2009)
  • Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer (2013)