Bewertung: 4

Henrik Ibsen – Nora oder ein Puppenheim

Bewertung: 4 Kronen

Nora.gif„Nora“ ist ein Entwicklungsdrama. Es zählt zu den bekanntesten und anerkanntesten Werken Ibsens. Es schildert die Entwicklung einer Frau vom Kind, dem Spielzeug und Dekorationsstück ihres Mannes, zu einer selbständig denkenden Frau mit eigener Verantwortlichkeit. Aus Liebe zu ihrem Mann, um sein Leben zu retten, begeht sie eine Urkundenfälschung, und als es nun an ihrem Mann wäre, ihr einen gleichen Liebesdienst zu erweisen, muss sie erkennen, dass hinter seiner liebenswürdigen Fassade ein kalter Egoist steckt. Sie wendet sich innerlich von ihrem Mann ab. Als er ihr immer wieder vorwirft, sie sei die leichtsinnige Tochter ihres leichtsinnigen Vaters und ihr erklärt, fast alle früh verstorbenen Menschen hätten lügenhafte Mütter gehabt, da ringt sie sich zu einem heroischen Entschluss durch: Sie verlässt ihre drei über alles geliebten Kinder, um sie nicht zu verderben, um ihnen nicht durch ihre Anwesenheit ihr Heim zu vergiften. Sie will sich selbst bilden und zu einem eigenständigen Menschen werden.

Über den Autor

Geboren am 21.03.1821 in Skien, Norwegen. Er wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen auf, musste aber nach dem Bankrott seines Vaters das Elternhaus verlassen und eine Apothekerlehre absolvieren. Eigentlich wollte er Maler werden, versuchte sich aber als Dichter. Ab 1951 war er Regisseur und Hausdichter am Theater in Bergen, ab 1957 wohnte er in Oslo und arbeitete im norwegischen Theater in Oslo. Das war die schwerste Zeit seines Lebens, er war völlig verarmt. 1858 (mit 37) heiratete er Susanna Thoresen, eine starke, durchsetzungswillige Frau. Sie gab Ibsen die Vorlage zu vielen seiner Frauenfiguren. Es war eine stürmische Beziehung, bestimmt nicht immer einfach. Ein Jahr später kam der gemeinsame Sohn zur Welt. 1864 folgte eine Reise nach Rom, 1870 der Umzug nach Deutschland, wo er 23 Jahre lang lebte. 1876 erschien eines seiner bekanntesten Werke: Per Gynt. 1879, bei einem Aufenthalt in Italien, entsteht „Ein Puppenheim“. 1890 erst Hedda Gabler. Erst 1891 bezog er wieder festen Wohnsitz in Oslo, wo er am 23. Mai 1906 nach langem Leiden verstarb.

Diskussion zum Thema

Gräfin 1 erklärt uns, warum die Wahl auf „Nora“ fiel: Das Stück war Bestandteil ihres Deutschdiploms, schon als 19 jährige schloss sie damals „Nora“ ins Herz. Die Entwicklung dieser Frau hat sie schon damals tief beeindruckt. „Nora“ ist ein Entwicklungsdrama. Die Hauptperson ist eine erwachsene Frau mit 3 Kindern, die erst ihrem Vater, später ihrem Mann als Spielzeug diente, als Zierde, als Repräsentationsstück. Für die Frauenbewegung der damaligen Zeit war „Nora“ beim Erscheinen 1879 ein Meilenstein, obwohl Ibsen es darin um den Menschen an und für sich ging.

Ein weiteres Thema in diesem Stück ist die „Vererbung“, wie weit wird die Verdorbenheit der Eltern an die Kinder weitervererbt? Zu dieser Zeit diskutierte man, ob die Charakterschwäche der Eltern bei Kindern körperliche Krankheiten und Gebrechen auslösen könnte. (Knochenmarkleiden des Arztes Rank wurde von dessen Vater an ihn übertragen, der den Frauen frönte.)

Die Rolle der Frauen in dem Stück wird auch durch Frau Linde verkörpert. Warum erhält die von Helmer die Stelle von Rechtsanwalt Krogstat? Einem Studierten? Weil Krogstat so tief gefallen ist auf Grund von Betrügereien, dass er trotz Jus-Studium, eine so niedrige Stellung inne hatte, dass sogar eine ungebildete „dahergelaufene“ Frau diese übernehmen konnte. Zudem war Krogstat ein alter Duzfreund von Helmer, was dieser nicht akzeptieren konnte, wenn er ab Neujahr Direktor der Bank war.

Eine weitere Gräfin fügt an, dass Nora aber auch für uns moderne Frauen nicht ganz fremd ist. Heimlichkeiten sind uns auch nicht fremd (Makrönchenszene S. 9). Auch heute werden Frauen von Männern ausgehalten, wegen ihrer Schönheit geheiratet, übernehmen Repräsentationspflichten, sind Püppchen am Arm von Männern, die mit ihnen prahlen, verkaufen sich! Spiele werden noch heute in vielen Beziehungen gespielt, meinte Beni.

Der Wandel von Nora scheint auf den ersten Blick abrupt. Pee sagt, dass sie sich fühlt, als sei sie im Regen stehen gelassen worden. Die Emanzipation, Ablösung ging zu schnell. Die Wandlung war zu rasch, (braucht grosse schauspielerische Leistung, um glaubwürdig zu wirken). Doch Nora wartet so lange auf die Rettung, es fällt ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen, dass Helmer der falsche Mann ist, um sie zu retten. Die Loslösung auf der Bühne ist der Moment, wo sie das zerfetzte Tarantella-Kleid (=Haut, Hülle) wechselt in ein Ausgehkleid.

Nora ist am Anfang des Buches sehr kindisch und abgehoben dargestellt worden („Regieanweisungen: Nora springt auf und klatscht in die Hände, S. 15 man stelle sich das vor!?) Sie war wirklich das Vögelchen, als das sie gehalten wurde. Gegen Ende kriegte Nora viel mehr Bodenhaftung, flatterte nicht mehr so herum.

Gräfin 3 fragt, warum wir alle den Betrug, den Nora beging, als selbstlos bezeichnen. Sie hatte jedes Interesse daran, ihren Mann gesund zu haben, damit er für sie arbeiten gehen kann. (Sie waren ja damals noch mittellos, sie hätte nichts geerbt.) Was hätte sie zu dieser Zeit als Witwe mit einem Kind schon machen können? Sie hatte kein intaktes Elternhaus, dass sie wieder aufgenommen hätte und einen Beruf schien sie auch nicht gelernt zu haben. Sie wäre alleine nicht zurecht gekommen.

Helmer wirkt auf uns alle unsympathisch, ein Egoist, aber ein Erzeugnis seiner Zeit. Als Mann konnte er sich nicht anders verhalten als dominant, dazu war er erzogen worden.

Zum Weiterlesen

Gräfin 1 stellt uns noch ein weiteres lesenwertes Werk des Dichters vor:
„Der Volksfeind“: Darin geht es um einen Arzt , der in einem Thermalbad entdeckt, dass die Quelle giftig ist. Als er das bekannt machen will, um Menschen gesund zu halten, wird er daran von den Einheimischen gehindert. Er resigniert vor der Meute und geht. (Laute Mehrheit siegt über Wahrheit)