Bewertung: 5

Klaus Merz – Jakob schläft

Bewertung: 5 Kronen

 

Die Erzählung ist in Ich-Form verfasst. Der Erzähler berichtet von seiner Familie. Der ältere Bruder Jakob ist bei der Geburt gestorben, ohne Taufe, sodass er auf dem Grabkreuz „Kind Renz“ genannt wird. Der Familienname Renz erinnert an den Namen der Autors Merz. Der Vorname des Erzählers, Lukas, ist ein reines Anagramm des Vornamens des Autors.

Der kleine Jakob ist unterwegs, bevor die Eltern heiraten. Es scheinen keine Hochzeitsfotos zu existieren, weil die Schwangerschaft der Braut schon anzusehen war. Die Mutter überwindet den Tod des ersten Sohnes nie ganz. Nach dem Austritt aus dem Sanatorium, in das sie der Vater und Lukas später einweisen, wird sie ihr elektrisches Heizkissen entsorgen, aus Angst vor Stromstössen. Lukas, der Erzähler, ist der zweite Sohn und danach kommt der jüngste Bruder, der einen „Wasserkopf“ hat und nicht gehen kann. Die Familie vergisst aber nicht, dass er fahren, singen und fliegen kann.

Lukas beschreibt seine Kindheit mit knappen Sätzen. Er erzählt fragmentartig von seinem Grossvater und seinen Vögeln, die einem Brand, und den Fischen, die einem Stromschlag zum Opfer fallen und seinen Bienen, die er, wenn ausgeschwärmt, auf seinem mit Honig bestrichenen Kopf als summende Krone heimträgt. Seine Grossmutter ist eine Gesundbeterin, schaffte das Kunststück aber nicht bei seinem jüngeren Bruder, der einen Wasserkopf, einen Hydrozephalus, hat, nicht gehen kann und Sonne gerufen wird.

Der Vater führt eine Bäckerei und leidet an Epilepsie. Später liest er den Strom- und Wasserverbrauch in allen Haushaltungen ab.

Onkel Franz, der Bruder des Vaters, verliert beim Spiel mit dem Messer den kleinen Finger, kann seine Hand in Brand stecken, mit seiner Harley die Gegend und die Frauen unsicher machen. Franz bringt ein Blaupunkt-Radio in das Leben der Familie Renz und damit den Landessender Beromünster. Er wandert nach Kanada aus und kehrt nach einer Episode mit 2 Eskimofrauen in die Heimat zurück um mit dem Flugzeug abzustürzen.

Lukas leidet an mehreren Fieberschüben, die durch ein Motorrad geheilt werden, das ihm aber wiederum zu einem „Scheitel“ verhilft, der genäht werden muss. Dem Motorrad passiert zum Glück nichts. Sonja, seine Jugendliebe, heiratet einen reichen Witwer und nimmt sich das Leben.

Die Erzählung „Jakob schläft“ von 1997 ist im oberen Wynental angesiedelt. Die autobiographische Erzählung verhilft Merz zum internationalen Durchbruch. Er habe früher gedacht, er wolle nicht so verortet sein. Es genüge ihm zu wissen, woher man abstosse, wenn man in die Luft kommen wolle. Erst später habe er dann gemerkt, dass der Ort seiner Kindheit in den fünfziger Jahren halt eben doch ein „Epizentrum“ für sein Schreiben war und sei.

Der Untertitel „Eigentlich ein Roman“ deutet laut dem Nachwort von Peter von Matt darauf hin, dass in diesem Bleistift-dicken Büchlein ein richtiger Roman steckt mit all den Ereignissen, Figuren, Schicksalskurven, die ein Roman braucht, aber in einer extremen Verdichtung. Er übersetzt dies in die Fotografie: „Bei Klaus Merz zoomt die Nahaufnahme stets in die Totale.“ Diese Bewegung erzielen die Lesenden mit ihrer Vorstellungskraft.

Die Episode mit Lots Frau (S. 53 ff.) ist ein Hinweis auf den stillen politischen Protest des Autors. Lukas versteht nicht, wieso Gott diese Frau vernichtet, die auf die Zerstörung zurückschaut, all die Duckmäuser und Ignoranten aber davonkommen lässt. Dem Vater imponiert diese Frau, die nicht mal einen eigenen Namen beanspruchen darf.

Über den Autor

Klaus Merz wurde am 3. Oktober 1945 in Aarau geboren. Er ist in Menziken im Wynental aufgewachsen. Das Tal hat seinen Namen von der Wyne, die nördlich von Neudorf beginnt und über Beromünster und Menziken fliesst und bei Suhr in die Suhre mündet, welche dann kurz darauf in die Aare fliesst.

Sein Vater, der an Epilepsie leidet, führte im Dorf eine Bäckerei-Konditorei und das tägliche Brot sei am wichtigsten gewesen. Seine Mutter litt an zunehmender Schwermut. Sein 5 Jahre jüngerer Bruder Martin hatte einen „Wasserkopf“ und konnte nicht gehen. Er schrieb später Gedichte und verstarb 1983 mit 33 Jahren.

Klaus Merz ist an der Bahnstrecke Beinwil am See – Beromünster gross geworden. Von dieser Bahnstrecke schreibt er in seinen Werken. Auch der Landessender Beromünster und das Radio spielen dabei eine wichtige Rolle.

Klaus Merz arbeitete als Sekundarschullehrer und als Lehrbeauftragter für Sprache und Kultur an der Schweizerischen Bauschule Aarau. Er ist mit einer Psychotherapeutin verheiratet, seine Tochter arbeitet in der Kinder- und Jugendhilfe, sein Sohn als Filmemacher.

Er lebt heute in Unterkulm.

1967 erscheint sein erster Gedichtband.

Seither hat er über 20 weitere Publikationen mit Gedichten, Erzählungen, kurzen Romanen und Essays publiziert. Er hat auch Hörspiele, TV-Drehbücher und Kinderbücher verfasst.

Er interessiert sich neben der Schriftstellerei auch für Malerei, Fotografie und Architektur.

Preise:

1992 Aargauer Literaturpreis

1996 Solothurner Literaturpreis

1997 Preis der Schweizerischen Schillerstiftung und Hermann-Hesse-Preis für „Jakob schläft“

1999 Prix Littéraire Lipp für „Frère Jacques“

2004 Gottfried-Keller-Preis für sein Gesamtwerk

2005 Aargauer Kulturpreis für sein Gesamtwerk

2012 Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg für sein Gesamtwerk

2012 Basler Lyrikpreis

Klaus Merz war Mitglied der Gruppe Olten (Vereinigung von Schweizer Autorinnen und Autoren, die von 1971 bis 2002 bestand) und von 1995 bis 1997 deren Präsident. Für die Gründungsmitglieder, welche aus Protest auf eine Veröffentlichung des Präsidenten des Schweizerischen Schriftstellerverbandes SSV ausgetreten waren, war das Schreiben untrennbar verbunden mit einer politisch verbindlichen Staatsbürgerschaft. 2012 antwortet Merz auf die Frage eines Journalisten der WOZ, ob er sich als politischen Autor verstehe, dass er nie auf Befehl gebellt habe. Politisches Denken – nicht Lärmen – verstehe er nach wie vor als Bürgerpflicht.

Er selbst scheint ohne Schreiben nicht leben zu können, wie das Gedicht „Biographie“ (in „Aus dem Staub“) vermuten lässt:

Im Lauf der Zeit selber

zum Bleistift geworden

der auch ein Bleistift bleibt

wenn er nicht schreibt.

Diskussion zum Thema

Gräfin 2: Es ist ein Konzentrat. Ein Riesenroman, zusammengepresst auf wenige Seiten. Das Gegenteil einer leichten Feder. Jeder Satz wurde mehrmals gedreht und gewendet, bis er passte. Die Geschichte kam nicht einfach aus ihm heraus. Es ist eher eine düstere Stimmung, zum Teil beleuchtet, wie sie lebten. Ein sehr gutes Buch, aber zu fest konstruiert. Die Geschichte ist wie ein Moasaik. Eigentlich ist es kein Roman, sonst müsste es eine Entwicklung geben.

Gräfin 6: Sie fand das Buch von Anfang an gut, ja sogar brillant. Es ist extrem präzise, die Sprache ist intensiv. Alles eröffent sich unverhofft, mit wenig Worten. Man liest und in einem Satz entsteht eine ganz andere Geschichte. Das Buch ist ein Juwel. Aber es dürfte nicht länger sein, als es ist.

Gräfin 1: Ein bisschen ungewohnt zwar, aber ihr gefiel das Nachwort von Peter Matt ebenso wie das Buch selber. Treffend geschrieben. Beim Lesen des Buches hatte sie das grösste Vergnügen. Der Stil gefiel ihr gut. Zum Teil arbeitete der Autor mit Fragmenten, unvollständigen Sätzen. Als ob es nur kurz erwähnt, schnell hingeworfen wäre. (Zum Beispiel das zum Teil klägliche Scheitern, vom Onkel, der Mutter.) Da gibt es Nebensätze, in denen eine richtige Tragödie raus kommt. Es war ein Erlebnis, das Buch zu lesen. Aber länger dürfte es nicht sein, da stimmt sie mit Gräfin 6 überein. Eigentlich ist es ein trauriges, beschwerendes Buch. Ein trauriges Schicksal, die Bilder bleiben hängen.

Gräfin 3: Sie hat sofort mit Lesen begonnen. Sie war in dieser Zeit in den Ferien und konnte am Swimmingpool lesen. Sie ist hellauf begeistert vom Buch. Nachher hat sie es 3-4 x durchgeblättert. Der Autor beschrieb ihrer Meinung nach diese Familie sehr authentisch, und brachte die Geschichte auf den Punkt. Stellenweise kam es ihr wie ein Märchen vor. Aber man muss gut und genau lesen, damit man alles mitkriegt. Klaus März hat das brillant gemeistert.

Gräfin 5: In diesem Buch kamen sämtliche Komponenten vor, die ihr in einer Geschichte nicht gefallen. Fragmente, sie ist Vielleserin, sie mag es nicht, wenn eine Geschichte tropfweise kommt. Es hat keinen Anfang und keinen Schluss. Zwar ist es sehr gut durchdacht und konzipiert. Aber die Bilder die mit Worten gemalt wurden hat sie nicht verstanden, auch die realen Bild im Buch bleiben ihr ein Rätsel. Sie fand sich nicht zurecht. Deshalb musste sie das Buch in drei Schüben lesen. Zwar hat sie viel angestrichen. Die einzelnen Sätze waren gut, stilsicher und gehaltvoll. Aber der Antrieb des Autors, weshalb er die Geschichte erzählt, erschloss sich ihr nicht.

Wo ist der Mehrwert für den Leser? Wieso muss ich daran teilhaben? Sie wird das Buch kaum weiterempfehlen, sondern es vergessen und im Schrank verstauben lassen. Nein, es hat ihr nicht gefallen. Das Buch ist ihr zu dünn und die Geschichte darin zu unmotiviert.

Gräfin 4: Sie hat das Buch nicht gelesen.

Zitate

Gräfin 2

Seite 31

Er bestrich sich den rasierten kopf mit Honig und trug die Abtrünnigen als summende Krone heim.

Gräfin 5

Seite 35

Geht’s, geht’s. Geht’s nicht, geht’s auch.

Gräfin 1

Seite 91

Bei Klaus Merz, der jedes Wort so behutsam aufnimmt und in Händen hält, als wär’s ein Neugeborenes, kann man sicher sein, dass er keinen Untertitel aus blosser Koketterie setzt. (Peter von Matt)

Gräfin 6

Seite 12

Er war im Halbschlaf in einen Hinterhalt geraten. Die Ärzte nannten es Epilepsie.

Gräfin 4

Seite

Gräfin 3

Seite 38

Es gab wenig Fernsehprogramme und nur mässigen Sensationsjournalismus, also deckten wir einen Teil des lokalen Bedarfes nach Unterhaltung lebensecht ab.

Zum Weiterlesen

1967 Mit gesammelter Blindheit. Gedichte

1982 Der Entwurf. Erzählung

1988 Tremolo Trümmer. Erzählungen

2001 Adams Kostüm. Drei Erzählungen

2003 Das Turnier der Bleistiftritter. Achtzehn Begegnungen

2005 Los. Eine Erzählung

2005 Kunos grosse Fahrt. Bilderbuch