Bewertung: 5

Leon de Winter – Malibu

Bewertung: 5 Kronen

 

MalibuEine Ölspur bringt das Leben des Drehbuchautors Joop Koopman ins Schleudern. Es ist nicht das erste Mal.

Am Morgen gratuliert Joop Koppman seiner Tochter zum 17. Geburtstag, schärft ihr ein, nicht im Porsche ihrer Freundin zur Party an der Strandbar zu fahren. Und natürlich auch, auf Alkohol zu verzichten – eben was man als besorgter Vater eben so sagt. Am Mittags hat er mit einem Freund aus Amsterdamer Tagen, Philipp, der ihm einen absurden Vorschlag unterbreitete eine Verabredung; nachmittags kommt dann der Anruf aus der Klinik, dass seine Tochter einen Motorradunfall gehabt habe und nun schwer verletzt sei. Ein Motorradunfall? Wie sollte Mirjam auf ein Motorrad kommen, sie kannte doch gar niemanden mit Motorrad; völlig unverständlich ist dieser Anruf für Joop. Doch rasch muss er wahr haben, dass es tatsächlich um seine Tochter geht, die im Sterben liegt.

Er unterzeichnet wie in Trance die Einwilligung, ihr Herz einem kranken Menschen zur Verfügung zu stellen, er verkriecht sich in seinem Haus, nimmt keine Telefongespräche entgegen, geht nicht mehr an die Tür, er weigert sich sogar, ein Begräbnis zu organisieren.

„God“ kümmert sich um alles, dass ihr Leichnam  eine vorläufige Bleibe findet, und er schafft es auch, Joop soweit ins Leben zurückzuholen, dass er Mirjams letzten Wunsch erfüllt und ihre Asche ins Meer streut. Dabei war „God“ eigentlich der letzte Mensch, den Joop um sich haben wollte; schliesslich war Mirjam auf seinem Motorrad mitgefahren, war er derjenige, der ihren Tod verursacht hatte.

Joop war vor fast 20 Jahren er gemeinsam mit seiner Frau Ellen nach Kalifornien gekommen, hatte hier anfangs auch viel Erfolg; seine Ehe war kurz nach Mirjams Geburt gescheitert, als Autor war er nicht so gefragt. Das war auch der Grund, warum er Philips Angebot überhaupt erst in Betracht zog: er solle für den israelischen Geheimdienst einen kleinen Auftrag ausführen. Doch bald schon gerät alles völlig ausser Kontrolle.

Nun taucht auch seine Cousine Linda auf, mit einem tibetanischen Mönch im Schlepptau, der behauptet, die Reinkarnation von Joops Grossvater zu sein, der in der Schoa in einem Lager in Polen umgekommen war.

Das wird zuviel für Joop ; er ist für all das nicht gemacht. Aber er hat nichts zu verlieren. Er läßt „God“ gewähren, geht trostbedürftig auf Lindas Werben ein und nimmt Philips Angebot an, in der Hoffnung, das Ganze literarisch ausbeuten zu können. Tatsächlich findet er Gefallen am Aushorchen, an der Macht des Informationsvorsprungs, des Hintergedankens.

Und er sucht Mirjams Herz…

Zum Autor

Geboren 1954 in ‘s-Hertogenbosch. Leon de Winter ist Sohn niederländisch-orthodoxer Juden. Seine Eltern überlebten den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust im Versteck. Winters Vater kam nach dem Krieg als Schrotthändler zu Geld. Winter studierte an der Filmakademie in Amsterdam, die er ein Jahr vor dem Examen ohne Abschluss verliess.
Mit Freunden gründete er anschliessend eine Produktionsfirma und schrieb verschiedene Drehbücher, die er teilweise auch selbst als Regisseur realisierte. Sein erster Film „Die Grenze“ lief 1984 im Hauptprogramm von Cannes.

Als freier Schriftsteller ist Winter neben dem Filmemachen seit 1976 tätig. Er veröffentlichte zunächst einen Band mit Erzählungen „Over de leegte in de wereld“ (1976) und 1978 mit „De (ver)wording van de jongere Dürer“ seinen ersten Roman, der auf Anhieb in den Niederlanden ein großer Erfolg wurde. Bis 1996 lagen 14 weitere Werke von de Winter vor, darunter auch das Theaterstück „Junkieverdriet“ (1981).

In den Niederlanden erzielten bisher alle Winter-Romane hohe Auflagen. Einige der Romane wurden verfilmt. Regie führte de Winter selbst bei der Filmversion von „De (ver)wording van de jongere Dürer“ (1979) und bei „Hoffman’s honger“ (1994). Als literarische Vorbilder benennt de Winter die „ältere Generation der großen Erzähler“ und verweist auf John Updike, Saul Bellow und Philip Roth.

Den Durchbruch auf dem deutschen Buchmarkt schaffte Winter im Anschluss an die Frankfurter Buchmesse 1993 mit dem Schwerpunktthema Niederlande. Zuvor war nur Winters Romanerstling „Die (Ver)Bildung des jungen Dürer“ im Berliner Aufbau Verlag erschienen, und es lag eine Taschenbuchausgabe des Romans „SuperTex“ vor. Nach der Buchmesse 1993 wechselte Winter zum Zürcher
Diogenes Verlag. Dieser nahm Winters Roman „Hoffmanns Hunger“ (dt. 1994) aus dem Jahr 1990 ins Programm auf und landete einen über alle Erwartungen reichenden Erfolg.

Kurze Kritik

Der Erzählstil gefällt den Gräfinnen. Die Geschichte hat einen originellen Einstieg. Der Beginn in den eigentlichen Roman ist tragisch. Der Hauptprotagonist wird durch einen Strudel von Ereignissen geschleudert. Für die Trauer um seine Tochter bleibt ihm kaum Zeit.

Viel Erschreckendes, Beklemmendes, Politisches und Mystisches rauben ihm fast den Verstand. Die Gräfinnen sind sich einig, dass das Buch spannende Abschnitte aufweist. Die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Literatur ist eine Abwechslung. Jemand zitiert noch zwei Seiten aus einem anderen Werk von Leon de Winters „Nur weg hier“. Gedanken werden minutiös aneinandergereiht, mit visuellen Eindrücken durcheinander gewirbelt.

FAZIT: „Malibu“ wächst nicht wirklich ans Herz, lässt einem eigenartig kühl und ratlos zurück. Trotzdem bereuen wir es nicht, dieses Buch gelesen zu haben.

Zum Buch

Malibu – Diogenes, 2003
aus dem niederländischen von Hanni Ehlers
ISBN 3-257-06347-4