Bewertung: 5

Max Frisch – Biedermann und die Brandstifter

Bewertung: 5 Kronen

 

Das Stück ist die Geschichte des Bürgers Gottlieb Biedermann, der die Brandstifter in sein Haus einlädt, um von ihnen verschont zu werden. Brandstifter gehen um in der Stadt, doch Herrn Biedermann kümmert das nicht, solange es ihn nicht trifft. Dass er schliesslich selbst Opfer von Brandstiftern wird, will er so lange nicht wahrhaben, bis es zu spät ist.

Dem aufdringlichen Hausierer Schmitz überlässt er einen Schlafplatz auf dem Dachboden und unternimmt auch nichts, als dieser seinen Freund Willi Eisenring mitbringt. Schmitz berichtet Biedermann, er sei mit dem Feuer von klein auf vertraut, weil sein Vater Köhler war. Aus Freude an den Flammen habe er bereits einen Zirkus angezündet. Und der ehemalige Kellner Eisenring gibt offen zu, dass er bereits eine Haftstrafe wegen Brandstiftung verbüssen musste. Die beiden Hausierer müssen sich gar nicht besonders verstellen, denn allein ihre immer unverhohlener zur Schau gestellte Bedrohlichkeit, mit der sie ihr zündelndes Geschäft betreiben, verschafft ihnen bei Biedermann so viel Respekt, dass er nur eine Möglichkeit sieht: alle Warnungen in den Wind schlagen und sich „anbiedern“. Er versteift sich darauf, dass die beiden Strolche, die sich unter seinem Dach einnisten und in aller Gemütsruhe Benzinfässer hinaufschaffen, nicht ernsthaft Brandstifter sein können. Vor der argwöhnischen Polizei behauptet er, dass die Fässer Haarwasser enthalten. Damit macht er sich gewissermassen zum Komplizen der beiden Brandstifter. Er lässt die Brandstifter in seinem Haus, lädt sie zu einem üppigen Gastmahl ein und stellt sich taub und blind, wenn er mit der bevorstehenden Katastrophe konfrontiert wird.

Höhepunkt des Stückes ist ein Essen, das Biedermann seinen neuen Duzfreunden Schmitz und Eisenring gibt. Und er kann es immer noch nicht glauben, als sie ihn mit nacktem Hohn um Streichhölzer bitten, um auftragsgemäss sein Haus in Brand zu setzen. Er selbst drückt ihnen die Streichhölzer in die Hand – als „Vertrauensbeweis“. Biedermann ist Opfer und Helfershelfer zugleich, ein Opportunist bar jeder Zivilcourage, dem es nur darum geht, seine eigene Haut zu retten. Am Ende gibt er ihnen die Streichhölzer, wobei er sich einredet, dass sie selbst welche hätten, wenn es sich wirklich um Brandstifter handeln würde.In der Nacht legen die beiden Männer Feuer. Gottlieb Biedermann und seine Frau Babette sterben in den Flammen.

Das Stück wurde 1958 am Schauspielhaus in Zürich uraufgeführt. ein Jahr später in Deutschland, extra dafür hat Frisch ein versöhnliches, erklärendes Nachspiel geschrieben.

Über den Autor

1911 Geburt Max Frischs am 15. Mai in Zürich
1934 erster Roman: Eine Sommerliche Schicksalsfahrt
1939 aktiver Dienst im 2. Weltkrieg (650 Tage)
1940 Blätter aus dem Brotsack, das Tagebuch eines Soldaten, erscheint im Atlantis Verlag Zürich. Erwirbt das Diplom als Architekt während eines Urlaubs vom Militärdienst.
1942 Heirat mit Constance von Meyenburg. (3 Kinder)
1953 Der Bayrische Rundfunk sendet Frischs Hörspiele Herr Biedermann
1954 Stiller erscheint
1955 Verkauf des Architekturbüros
1957 homo faber erscheint
1958 Uraufführung des Theaterstücks Biedermann und die Brandstifter in Zürich.
1959 Nachspiel zu Biedermann und die Brandstifter. 1. Ehe geschieden.
1960 Wohnung in Rom mit Ingeborg Bachmann
1961 Andorra in Zürich, Frankfurt, München und Düsseldorf uraufgeführt.
1966 Heirat mit Marianne Oellers.
1976 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Gesammelte Werke in zeitlicher Folge erscheinen, herausgegeben von Hans Mayer und Walter Schmitz.
1979 Uraufführung von Triptychon. Drei szenische Bilder in Lausanne.
Der Mensch erscheint im Holozän.
Ehe mit Marianne Frisch-Oellers geschieden.
1981 Kauf eines Lofts in New York, Gründung des Max-Frisch-Archivs an der ETH Zürich.
1984 Wohnung in Zürich, Stadelhoferstr. 28
1987 Einladung zum von Mikhail Gorbatschow veranstalteten »Forum für eine atomwaffenfreie Welt und das Überleben der Menschheit« nach Moskau
1989 Schweiz ohne Armee? Ein Palaver erscheint. Uraufführung von Jonas und sein Veteran in Lausanne und Zürich
1991 Am 4. April stirbt Max Frisch in seiner Wohnung in Zürich

Diskussion zum Thema

Gräfin 5 erklärt, warum sie dieses Buch wählte: sie las es mit ca. 15 Jahren in der Schule. Die Geschichte bewegte sie tief und liess sie nicht mehr los. Immer wieder kam ihr der Biedermann in den Sinn und sie bezog die Geschichte oft auf die heutige Politik. Obwohl sie die Zusammenhänge nicht mehr alle präsent hatte, deutete sie noch immer viel in dieses Handlung hinein. Deshalb wollte sie nochmals den Biedermann lesen und ihn mit den Gräfinnen besprechen oder von ihnen zerpflücken lassen. Das Stück ist nicht schwierig zu lesen, ausser die Passagen mit dem Chor. Spannend ist, dass die Geschichte in Deutschland anders gedeutet wurde als in er Schweiz. Dort als Hinweis auf die Mitläufer in der Nazizeit, hier als Fingerzeig zu den Kommunisten, die in Ungarn, vorher in Polen einmarschiert sind. Für Gräfin 5 hat es einen Bezug zur SVP, die politische Situation in der Schweiz von heute. Zu viele Mitläufer! Sie findet aber, dass in allen von uns ein kleiner Biedermann steckt. Wie oft haben wir schon den Zeitpunkt verpasst, stopp zu sagen? Wie oft haben wir schon gute Miene zum bösen Spiel gemacht? Ihr scheint das Stück nach wie vor brandaktuell und aussagekräftig.

Gräfin 3 hat sich erst gequält mit dem Stück, sie wusste nicht, wie sie das Stück begreifen soll. Ist es eine Groteske, ein Lehrstück, eine Komödie? Sie wusste vorher nichts über den Plot und ging dementsprechend zu ernst an die Geschichte heran. Sie suchte verkrampft die Lehre darin, aber das Theater in Aarau hat ihr dann die Auflösung gebracht. Damit hat sie die Einheit gefunden. Ohne diese Aufführung wäre das Stück für sie ohne Sinn geblieben.

Gräfin 4 konnte die Geschichte problemlos lesen, sie hat es sogar sehr gerne, diese Theaterlektüre. Mit der Aufführung in Aarau hat sie ebenfalls eine gute Auflösung gefunden. (Kulisse fand sie aber nicht sehr originell). Mit dem Wissen ums das Nachspiel hat das Buch für sie auch ein akzeptables Ende.

Gräfin 1 hat die eine Hälfte vor der Aufführung gelesen, den Rest erst danach. Sie fand es sehr spannend, Dialoge faszinieren sie immer wieder. Ihr schien es witzig und gelungen. Die Idee, dass eintraf, was alle voraussagten und einfach niemand ernst nehmen wollte, fand sie genial. Die Wahrheit ist im Stück ein grosses Wort! Wer tut heute wirklich noch genau, was er sagt? Das Nachspiel war für sie danach noch das Sahnehäubchen, bis zum bitteren Ende. Sie war aber froh, dass es eine kurze Lektüre war.

Gräfin 6 fand das Buch einfach zu lesen. Sie musste aufpassen, dass sie die Namen nicht vertauschte. Ihr hat es die Augen geöffnet, wie viel wir ertragen, damit jemand (alle?) uns gern hat. Oder uns jedenfalls nichts Böses will! (Z.B. das Nachtessen, wo er nicht als Protz dastehen will, sondern sich quasi auf dieselbe Stufe stellt wie die Hausierer und sich anbiedert.) Frisch trieb die Geschichte unglaublich voran. Was diese Brandstifter mit Engelszungen erzählten und Biedermann ihnen alles glaubte! Sie verlangten immer mehr von ihm und er gibt es, damit sie ihm nichts tun. Wann hätte er die Notbremse ziehen sollen? Das Karussell dreht sich immer schneller, der richtige Zeitpunkt um zu intervenieren ist total verpasst.

Gräfin 2 kannte das Buch von Rezensionen. Zwar hatte sie es noch nicht gelesen, aber schon eine Meinung gehabt. Vor allem im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Vor der Theateraufführung hat sie das Stück nicht gelesen. Daher ging ihr die Interpretation in den falschen Hals. Sie dachte an die Ausländerproblematik bei uns, die Asylanten, die an die Türe klopfen. Erst das lesen des Reclam-Büchleins hat es in das rechte Licht gerückt. Mit Frischs Sprache hat sie etwas Mühe, es ist einfach ein Schweizer, der schreibt, das merkt man sehr gut. Es wirkt hölzern und holprig. Die Figuren fand sie gut gezeichnet. Knechtling ist noch speziell zu erwähnen: er wurde entlassen, weil er unnütz war (für Biedermann), Schmitz hat das mitbekommen und hat Biedermann somit in der Hand. (..was für ein guter Mensch Sie sind…)

Fazit: Biedermann scheint durch seine Anbiederung fast ein Opfer zu sein, er ist aber ganz sicher auch Täter. Er hat einen Menschen in den Tod getrieben.

Zitate

Gräfin 2: S. 75 „Und ich habe nie bemerkt, dass ich lüge…“

Gräfin 4: S. 11 „Und wenn’s dem Fräulein nichts ausmacht, etwas Butter.“

Gräfin 1/Gräfin 3: S. 42 „Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt einem niemand.“

Gräfin 5 S. 92: „Ich kann nicht soviel essen, wie ich kotzen möchte.“

Gräfin 6: S. 60 „Schmitz, schmatz nicht!“

Zum Weiterlesen

  • Andorra
  • homo faber
  • Der Mensch erscheint im Holozän,