Bewertung: 4

Milan Kundera – Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Bewertung: 4 Kronen

 

Der Roman erzählt von Leichtigkeit und Schwere, von Liebe und Untreue, von unserem Sein und der Tragweite unserer Handlungen. Die wechselhafte Geschichte zweier ungleicher Liebespaare bildet den Rahmen. Das sind der Chirurg Tomas und die Serviererin Teresa. Bei der ersten Begegnung mit Teresa wird Tomas von einem Gefühl der Verantwortung, des Mitgefühls und der Zärtlichkeit ergriffen, das er bisher nicht kannte. Teresa liebt Tomas ohne Vorbehalte, leidet aber unter seinen Seitensprüngen. Aus Sorge um das Schicksal ihrer Liebe hat sie Angstträume. Als Tomas auch in der Schweiz, wohin sie nach dem Prager Frühling ausgewandert sind, seine Seitensprünge nicht aufgibt, beschliesst sie, nach Prag zurückzukehren. Tomas folgt ihr, obwohl er sich bewusst ist, dass er aufgrund einer früheren politischen Veröffentlichung seine berufliche Existenz riskiert. Unter dem Druck der „Normalisierung“ muss er seine Stelle als Chirurg aufgeben und wird Fensterputzer, was allerdings seine erotischen Aktivitäten massiv steigert. Sie ziehen aufs Lande, wo sie eine Arbeit bei einer landwirtschaftlichen Genossenschaft bekommen. Heimliche Liebesbriefe an Tomas bringen bohrende Verdächtigungen in ihre Beziehung. Als Tomas Teresa offenbart, dass die Briefe von seinem Sohn kommen, erkennt Teresa, dass sie ihm unrecht getan hat. In diesem Moment des Ausgleichs, in dem sie erkennen, dass der eine nicht stärker ist als der andere, kommen beide durch einen Autounfall ums Leben.

Anders entwickelt Kundera die Geschichte von Sabina und Franz, dem zweiten Liebespaar. Hier ist Sabina der stärkere Pol der Beziehung. Ihr Verhältnis ist von Unverständnis geprägt: Für Sabina haben die Wörter, die Franz gebraucht eine andere Bedeutung als für ihn.

Kundera versucht, mit diesem Roman zwischen dem Leichten und dem Schweren zu unterscheiden. Die Leichtigkeit unserer Existenz wird damit aufgehoben und ins Schwere gedreht indem die Unwiderrufbarkeit einer Entscheidung oder Handlung auf uns lastet wie eine unendlich schwere Last.

Über den Autor

1929 am 1. April wird Milan Kundera in Brno (Tschechien) geboren. Er studierte Musik, Film und Literatur in Prag. Veröffentlichte schon als Schüler erste Gedichte. War zeitweise als Kommunist Parteimitglied, gab 1970 aber den Austritt.
1958 – 1968 erschien das dreibändige Prosawerk „Das Buch der lächerlichen Liebe“,
1967 der erste Roman „Der Scherz“.
1968 Er war beim Prager Frühling Hauptakteur der Bewegung und verlor so seine Dozentur, seine Bücher wurden aus den Büchereien erbannt.
1973 Sein Buch „Das Leben ist anderswo“ erscheint in Paris.
1975 erhält Lehrauftrag in Rennes (F).
1979 „Das Buch vom Lachen und Vergessen“, die Regierung der Tschechoslowakei entzieht ihm darauf die Staatsbürgerschaft. Alle folgenden Romane durften in der CSSR nicht mehr veröffentlicht werden.
1981 französische Staatsbürgerschaft
1982 „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ erscheint
1985 er gibt nur noch schriftliche Interviews

Er lebt mit seiner Frau Vera Hrabankova in Paris. Ist oft inkognito unterwegs.
Fühlt sich als Opfer von Verfälschern, Interpreten und Übersetzern, liess seine Werke in Deutschland neu übersetzen und überprüft jedes Wort seiner in Tschechisch geschriebenen Werke.

Diskussion zum Thema

Gräfin 4 erzählt, dass sie dieses Buch zum Lesen vorgeschlagen hat, weil ihr ein Kollege es als sein Lieblingsbuch empfohlen hat. Sie fragte sich aber, warum gefällt ihm dieses Buch? Sie tat sich schwer mit der Geschichte, es schwankte ihr zu fest in den Zeiten und Personen hin und her. Die einzelnen Kapitel waren zu wenig fassbar. Die Personen fand sie gut beschrieben, Teresa blieb ihr fremd, sie war ihr auch zu wenig eigenständig. Einzelne Textpassagen haben ihr gut gefallen. Die Träume von Teresa haben sie tief berührt, auch Kambodscha. Aufgefallen ist ihr, dass Tomas im Dorf keine Liebschaft hatte. Sie würde das Buch nicht weiterempfehlen.

Gräfin 5 hatte Freude, das Buch zu lesen. Es versetzte sie zurück in die 80er Studienjahre, hat das Buch bereits mit Genuss gelesen. Damals ein etwas verklärter Blick auf den junggebliebenen 40 jährigen Mann, heute erscheint ihr Tomas als unreifer Mann. Zum Stil: Der Lesefluss ist nicht gegeben, er wird unterbrochen. Wenn die Zeiten kippen, gefällt ihr das. Er nimmt als Autor so klar Bezug zum Leser. (z. B. S. 211) Die Umbruchstimmung der 80er ist gut wiedergegeben. Die Hoffnung auf den Umsturz, die Unruhe, alles fliest in die Geschichte ein, obwohl sie ja 1968 spielt. Sie hatte Spass beim Lesen und wird das Buch weiterempfehlen. Viel Verstecktes ist in der Geschichte: Warum geht Tomas fremd? Er sucht Verborgenes.

Gräfin 6 hat das Buch kurz nach dem Erscheinen gelesen, musste es in den 80ern lesen. Sie erinnerte sich nur noch an die Flucht in die Schweiz. Die Grundgeschichte über die Liebe hat ihr aber damals schon nicht gefallen. Freute sich aber auf ein Wiederlesen, verstand es aber jetzt immer noch nicht. Tomas: ist unreif, nicht Beziehungsfähig, Teresa hing an ihm, obwohl er sie betrügt. Das switchen zwischen den beiden Geschichten mochte sie gerne. Die Personen kamen ihr aber zu wenig klar heraus. Der Lesefluss fehlte ihr aber, die Geschichte interessierte sie zu wenig Die Beziehung machte kaum Fortschritte, er untreu, sie treu. Sie war nicht glücklich mit dem Buch. Es war eine Liebesgeschichte ohne Liebesgeschichte.

Gräfin 1 ist nicht objektiv, ist eigentlich am lernen und das Buch passte ihr nicht in den Kram. Es hat ihr nicht gefallen, sie empfand es als Zeitverschwendung. Sie hatte grosse Mühe, die Erzählstränge waren zäh, hat den Zusammenhang der Geschichte nicht begriffen. Was will der Autor ihr eigentlich sagen? Das einzig Spannende war der geschichtliche Aspekt. Alle Lebenstränge waren schräg. Wo ist Heimat? Machen die Menschen Heimat aus? Tomas geht zu Teresa zurück nach Prag, in die Unfreiheit. Sie hatte extrem Mühe und fand das Buch zäh zu lesen. Es waren schwierige Sätze, sie konnte sich auch nicht einfühlen; es war nicht ihre Welt. Was sucht Tomas in den Frauen? Sie versteht den Menschen nicht, der das Buch geschrieben hat. Sie brachte die Dinge nicht zusammen. Es hat ihr nicht gefallen. Sie fand es aber spannende, dass Leute ganz aus dem bisherigen Leben herausbrechen, andere kehren zurück.

Sie kann durchaus reflektieren und weiss, dass das Buch in den 80ern geschrieben wurde und dass sie es so gelesen hat, mit der politischen Situation dieser Zeit im Hinterkopf. Politisch ist das Buch zwar ganz spannend, aber geht es nun um Beziehungen oder um Heimat? Es gibt für sie einfach kein Ganzes aus der Geschichte.

Gräfin 3 weist darauf hin, dass Kundera die Umbruchstimmung der 80er vergleicht mit der Umbruchstimmung der 68er Jahre. Die Leute spüren die Veränderung vorher. Es kommt doch auf die momentane Situation drauf an, wie das Buch ankommt. Warum zum Beispiel war Tomas in Kambodscha: weil die Amis sich nicht nur mit Ärzten in Krisengebiete fahren, sondern auch mit Schauspielern, Journalisten und sich zur Schau stellenden… Tomas aber will ein Zeichen setzen. Das Buch gefiel ihr vor 20 Jahren. Jetzt jedoch bekundete sie am Anfang grosse Mühe, die Liebesgeschichte fand sie unromantisch. Dann sagte sie sich: STOPP. Wann hat Kundera das Buch geschrieben? Er beschreibt eigentlich einen zweifachen Zerfall! Sie blendete also die Liebesgeschichte von Teresa und Tomas aus. Aber wofür stehen die beiden eigentlich?
Tomas: gescheit, hat alles im Griff.
Teresa: sie steuert alles und weiss was sie will, obwohl sie schwach scheint. Sie hat Tomas voll im Griff. Alles geschieht..durch Schwäche! Sie liess ab sofort die Liebesgeschichte einfach aus und dann gefiel ihr das Buch ausnehmend gut. Sie fand viele Rosinen zum Rauspicken, die Bilder begannen ihr zu gefallen.

Gräfin 2 sagt, dass ja fast alle von uns das Buch bereits in den 80ern gelesen haben und niemand mehr genau weiss, worum es ging. Das hat einen Grund! Kundera wollte ein Puzzle machen, hinterliess aber ein Flickwerk. Das ganze Buch ist extrem aus männlicher Sicht geschrieben. Es kam ein bisschen alles vor, ein Körbchen, in dem Teresa angeschwommen kam, Sex and Crime, Psycho und Politik. Alles in allem ein trauriges, trostloses Buch ohne wirklich lebendige Figuren. Nur beim Hund Karenin fand sie Liebe. Wenigstens liest sich das Buch einfach, es ist nicht kompliziert.

Zitate

Gräfin 4: S. 100 „Das einzige Wort, das ihr sanft in den Ohren klingt wie eine nostalgische erinnerung an ihre Heimat ist das Wort Friedhof.“

Gräfin 2: S. 73 „Aber gerade der Schwache muss stark sein können und weggehen, wenn der Starke zu schwach ist, dem Schwachen ein Unrecht antun zu können.“

Gräfin 6: S. 11 „Man kann nie wissen, was man wollen soll, weil man nur ein Leben hat, das man weder mit früheren leben vergleichen noch in späteren korrigieren kann.“

Gräfin 1: S. 11 „Was aber kann das Leben wert sein, wenn die erste Probe für das Leben schon das Leben selber ist?“

Gräfin 3: S. 86 „Solange die Menschen noch jung sind und die Partitur ihres Lebens erst bei den ersten Takten angelangt ist, könne sie gemeinsam komponieren und Motive austauschen.“

Gräfin 5: S. 29 „ Wer den Ort verlassen will, an dem er lebt, der ist nicht glücklich“

Zum Weiterlesen

  • Das Buch der lächerlichen Liebe
  • Das Leben ist anderswo
  • Die Unsterblichkeit