Bewertung: 3

Richard Flanagan – Goulds Buch der Fische

An einem kalten Wintertag in der tasmanischen Hauptstadt Hobart findet der Antiquitätenfälscher Sid Hammet in einem Trödelladen ein Buch. Sid ist vom „Buch der Fische“ fasziniert. Nicht nur die Bilder ziehen ihn in ihren Bann, denn jeder gemalte Fisch ist umrahmt von Schriften in unterschiedlichen Farben, gefertigt aus Blut, Edelstein- Staub oder Kot. Das Buch ist vollgekritzelt mit der Lebensgeschichte von William Buelow Gould, der als Gefangener nach Van Diemens Land deportiert wurde und dort in der Strafkolonie Sarah Island vom Arzt beauftragt wurde, die Fische zu malen, die dort gefangen wurden.

Doch dann verschwindet das Buch und lässt nur eine Wasserpfütze zurück. In der Allport Library findet Sid Hammet zwar ein zweites Exemplar, allerdings ohne Text.

Sid beschliesst, die Geschichte aus dem Gedächtnis neu aufzuschreiben. Ein Fälscher, der den Lebensweg eines Fälschers fälscht. Dann verwandelt sich Sid in einen Fisch und schon beginnt die Geschichte von Goulds Abenteuern:

William Buelow Gould vegetiert in einer Salzwasser-Zelle auf Sarah Island, die sich während der Flut mit Meerwasser bis unter die Decke füllt und bei Ebbe sein Maler- und Schriftstelleratelier ist. Sarah Island wird von einem ehemaligen Sträfling, der sich zum Kommandanten hochgearbeitet hat und eine goldene Maske trägt, regiert. In seinem Wahnsinn will er ein neues Venedig erschaffen. Der Lagerarzt Lempriere, der mit der Vermessung und Kategorisierung von Mensch und Tier die edlen Ziele der Aufklärung verfolgt, lässt Gould die Fische malen. Nach dem Tod Lemprieres, dessen Gould beschuldigt wird, wird das Buch der Fische zerstört. Gould beginnt ein neues Buch der Fische, wobei ihm das rationierte Papier als Malgrundlage und Tagebuch dient. Gould porträtiert nicht nur die Fische: Lempriere stellt er als Igelfisch dar, den Kommandanten als Himmelsgucker. Den tückischen Archivar Jorgensen als Sägerochen. Jorgensen schreibt die Geschichte von Sarah Island nach seinem Gutdünken, von einer aufstrebenden Gesellschaft ist die Rede, von Folter und unmenschlichen Zuständen ist im Archiv nichts zu lesen.

Flanagan erzählt mit Gould die frühe Geschichte Australiens, in mitten des Grauens der Sträflingskolonie Sarah Island. Unmenschliche Zustände, Folter, Grausamkeiten, Wahnsinn, alles wird ungeschönt von Gould geschrieben.

In zwölf Fischen wird die Geschichte erzählt. Dabei stehen die Fische für Personen:

  1. Kelpy Capois Death
  2. Igelfisch Lempriere
  3. Himmelsgucker Kommandant
  4. Drückerfisch Matt Brady
  5. Schlangenaal Guster Robinson
  6. Sägerochen Jorgensen
  7. gestreifter Kofferfisch Twopenny Sal
  8. Haubenfisch Tracker Marks
  9. Süsswasserkrebs Gould
  10. Petersfisch Pobjoy
  11. Seedrachen Gould

Über den Autor/die Autorin

Richard Flanagan wurde 1961 in Longford, Tasmanien geboren. Er ist das zweitjüngste von sechs Kindern. Seine Familie ist irisch-katholischen Ursprungs, die sich bereits 1849 in Tasmanien ansiedelte.

Seine Ausbildung absolvierte er an staatlichen Schulen. Doch mit 16 ging er von der Schule ab und arbeitete im australischen Busch. Flanagan nahm seine Ausbildung jedoch später wieder auf und ging als Rhodes-Stipendiat nach Oxford. Hier schloss er 1991 sein Geschichtsstudium ab.

Flanagan ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt derzeit in Hobart, Tasmanien.

Er hat bislang 4 Romane veröffentlicht. Alle waren für den Miles Franklin Award nominiert. Das Buch Gould’s Book of Fish gewann 2002 den Commonwealth Writers‘ Prize.

Diskussion zum Thema

Einige Bemerkungen zu Beginn: Gräfin 2 erwähnt, dass sie viele Personen, die in diesem Buch vorkamen, gegoogelt hat. Tatsächlich kommen einige reale Personen in der Geschichte vor. Gräfin 2 zeigt uns sogar ein Buch des Malers John James Audubon. (Jean- Babeuf Audubon = John James Audubon; Vogelmaler 1785-1851) Hier zwei weitere Personen mit historischem Hintergrund: Capois Death, Schwarzer Schankwirt = François Capois genannt Capois Death haitianischer Freiheitskämpfer, der unter General Maurepas diente (S. 108) und Dr. Bowdler- Sharpe

ist Ornithologe 1847-1909 (S. 161)

Auch N.B. Gould gab es wirklich, doch sein Leben verlief zum Teil anders, als es im Buch beschrieben ist. Die Geschichte Tasmaniens ist wahrlich grausam. Der Genozid an den Ureinwohnern war derart schrecklich, dass nur 3 (!) Tasmanier das Gemetzel überlebten. Und dies nur, weil sie für die Wissenschaft wichtig waren.

Gräfin 2: Sie gibt uns eine ausführliche Zusammenfassung ab. Sie hat das Buch (zu) spät begonnen. Der Einstieg in die Geschichte war schwierig. Eines der Probleme beim Lesen stelle die zeitliche Überschiebung dar. Sie hatte Mühe und schämte sich ein bisschen dafür, dass sie dieses Buch vorgeschlagen hat. In der Mitte der Geschichte hatte sie einen Durchhänger und hätte bestimmt aufgehört, wenn sie nicht gezwungen gewesen wäre, weiterzulesen. Am Ende nahm die Geschichte wieder Fahrt auf. Gleich nach dem Schluss hat sie wieder vorne angefangen, so sah sie deutlich, wie sich der Kreis schloss. Erst mit der Recherche kam das Verständnis für die Geschichte. Die Poesie war ganz klar da. Dennoch konnte sie sich nicht entscheiden, ob das Buch gut oder schlecht ist. Denn man kann Dinge, die dort geschehen sind, schön reden, aber passiert sind sie trotzdem. Aber das Buch hallt nach und darum ist es ein gutes Buch, aber es gefiel ihr nicht.

Gräfin 3: Das Buch hat ihr nicht gefallen. Alles war schrecklich. Zwar hatte sie Verständnis, es ging ihr aber wie bei „Schlafes Bruder“ (siehe Protokoll Nr. 14). Es war einfach nur grauslig. Es fiel ihr noch nie so schwer, ein Buch zu Ende zu lesen. Eventuell weil sie sonst mehr Zeit zum Lesen hat? Zwar sind die Beschreibungen im Buch klasse gemacht, die Personen in ihren Eigenheiten gut eingefangen. Der Stil ist gut, das Fazit am Ende ist nicht schlecht, dennoch hat sie weder die Chronologie noch den Sinn der Geschichte verstanden. Die ganze Story ging einfach an ihr vorbei. Sie ist aber stolz, dass sie bis zum Ende durchgehalten hat.

Gräfin 1: Dieses Buch war eine grosse Herausforderung und es verwirrte sie. Die Bilder der Fische machten Sinn, waren wie ein roter Faden durch das Buch. Es trägt ja auch den Untertitel: Ein Roman in zwölf Fischen. Zwischendurch gab es ein Gefühlsdurcheinander, die Geschichte brachte sie gleichzeitig zum Weinen und zum Lachen. Oft liess es sie einfach konfus zurück. Den 1. Teil las sie sehr schnell, nachher kam sie nicht mehr richtig in die Geschichte rein. In der Mitte des Buches hat es, wie auch von Gräfin 2 festgestellt, einen sehr grossen „Hänger“. Auch dass der Autor die Zeitebenen oft wechselt, ich und er austauscht, macht den Zugang zum Roman nicht einfacher. Die Personen waren ihr immer sehr nahe. Seine Beziehung zu Twopenny Sal war zuckersüss, wie er verliebt und menschlich war, wie er sie beschützen wollte. Nur die Fische liessen ihn sonst menschlich sein. Gould konnte seine Gefühle aber nicht einordnen. Dies alles ist bestens beschrieben, liess sie aber als Leserin nicht wirklich in die Geschichte hineinkommen. Dem Buch hätte mehr Kürzung sicher wohlgetan. Grundsätzlich mach sie eine deftige Sprache, auch hier faszinierte sie die dreckige Wortwahl, doch von der ganzen Geschichte hat sie eindeutig mehr erwartet.

Gräfin 5: Grundsätzlich eine eklige Geschichte über Fische und Gewässer, aber spannend. Und doch nicht. Zwar ist sie nicht eingeschlafen während des Lesens, aber ein Pageturner war es auch nie. Die Sprache ist brillant. Löste Emotionen aus. Ekel und Gelächter (Die Loki-Szene im Dschungel!) Die Brutalität unter den Deportierten hat sie teilweise schockiert. Eine grossartige Idee des Schriftstellers war, alles Gesprochene des Arztes in Grossbuchstaben zu schreiben. So sah man auf einen Blick, wie wichtig er sich nahm und wie er Befehle erteilte. Andere supergute Einfälle waren die Geschichte des Kommandanten, der sich als ein verschollener Bruder ausgibt, um mit seiner Herzdame zu korrespondieren, bis er dann herausfindet, dass auch diese eine falsche Identität vortäuscht. Nichts ist so, wie es zu sein scheint. Die Geschichte ist eine Art Rahmenhandlung, aber der Rahmen schliesst nicht ganz. Über den Hänger in der Mitte des Buches haben wir bereits genügend gesprochen. Auch das Ende ist für sie nicht einsichtig, nicht schlüssig. Das Buch ist keine Runde Sache. Der Autor erzählt zu viel, er will mehrere Geschichten in einer Erzählen, so dass man als Lesererin plötzlich ratlos ist und nicht mehr weiss, ist es ein Horrorbuch, ein Historienschinken, eine Liebesgeschichte…oder? Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Autor nichts Wesentliches erzählt, dies aber außergewöhnlich gut und stilsicher.

Gräfin 6: Das Buch hat sie nicht gepackt. Die Ausgangslage war sehr spannende, aber ergab zu wenig. Der Beginn mit dem Antiquitätenhändler war genial, als Leserin fühlte man sich angesprochen. Es baute einen Spannungsbogen auf, aber es dauert dann zu lange, bis etwas Konkretes dazu kam. Nun ist sie ratlos, denn die ganze Geschichte war einfach nicht spannend. Die Sprache war jederzeit treffend, ein toller Stil, sehr bildhaft beschrieben. Wenn es nicht für die Gräfinnen gewesen wäre, hätte sie das Buch nicht fertig gelesen. Auch sie bemerkte, wie alle, den grossen Hänger in der Mitte. Grundsätzlich mag sie Zeitverschiebungen und Sichtwechsel. Hier hat sie es aber einfach nicht gepackt.

Das Fazit: Die Schlussfolgerung des Buches steht in der Mitte der Seite 458, hier wird der Wahnsinn des Beginns des tasmanischen Reichs dargelegt. Es ist ähnlich wie bei einem Quentin Tarrantino-Film, man muss das Stück mehrmals essen, um es zu verdauen. Die Geschichte ist zu lang, es ist zu viel hineingepackt. Der Hänger in der Mitte des Buches ist quälend.

Zitate

Gräfin 2 (S. 239); Gräfin 2 gibt uns eine ausführliche Zusammenfassung ab. „Und als ich mit dem Bild fertig war und auf den armen Drückerfisch niedersah, der jetzt tot auf dem Tisch lag, fragte ich mich zum ersten Mal, ob nicht jedes Mal wenn ein Fisch stirbt, die Welt um so viel Liebe ärmer wird, wie man für so ein Geschöpf empfinden kann.“

Gräfin 3: (S. 29); Er hielt inne und stopfte mit dem Knöchel eines Zeigefingers nass glänzende schwarze Borsten, die lang und struppig aus seinen Nasenlöchern ragten, in ihre Höhlen zurück, dann fuhr er fot in seinem Monolog.“

Gräfin 1: (S. 459); „Denn ich bin nicht versöhnt mit dieser Welt.“

Gräfin 5: (S. 86); „Koloniale Kunst ist die komische Fertigkeit, dem Neuen den Schein des Alten zu verleihen, dem Unbekannten den des Bekannten, dem Antibiotischen den des Europäischen, dem Verächtlichen den des Respektablen.“

Gräfin 6: (S. 91; „Ich musste die Ehefrauen von Offizieren und freien Kolonisten malen, aber auch andere frisch erlegte Beute…“