Bewertung: 4

Eric-Emmanuel Schmitt – Das Evangelium nach Pilatus

Bewertung: 4 Kronen

 

Die französische Originalausgabe erschien 2000 in Paris mit dem Titel „L’Évangile selon Pilate“. Der Roman schildert die biblische Passionsgeschichte unter kritisch modernen Aspekten in drei Teilen. Der erste Teil wurde unter dem Titel La Nuit des oliviers für die Bühne arrangiert.

1. Teil
Jesus im Garten Gethsemane. Schmitt schreibt aus der Perspektive Christi und resümiert Kindheit, Taufe, kommentiert Wunder und kommt immer wieder auf die Ausgangssituation zurück, das Warten auf den Tod.

Die Reflexion des Lebens Jesu zeugt von eigehender Beschäftigung und Kenntnis der heiligen Schrift. Seine Ausführungen beinhalten moderne Theologie.

2. Teil
Pilatus schreibt Briefe an seinen Bruder Titus. Dabei geht er frei nach Pilatus’ Frage aus dem Johannesevangelium vor: „Was ist die Wahrheit?“ Pilatus sucht rational nach Klarheit in Bezug auf den Tod Jesu. Unerwartete Geschehnisse lassen ihn immer wieder neue Gedankenkonstrukte entwickeln, das Unerklärliche erklären.

3. Teil
Schmitt berichtet davon, wie das „Evangelium nach Pilatus“ entstanden ist. Er beschreibt einen Prozess, in dem er sich selbst und seinen Glauben näher kennen gelernt hat.

Aramäischer Name / deutscher Name
Myriam / Maria:
Myriam von Magdala / Maria Magdalena
Jeschua / Jesus
Jehuda / Judas
Simeon / Simon
Johanaan der Taucher / Johannes der Täufer

Volksgruppen

Pharisäer
Die Pharisäer waren eine theologische Ausrichtung im antiken Judentum. Sie bestanden während der Zeit des zweiten jüdischen Tempels (ca. 530 v.Chr. – 70 n.Chr.) und wurden danach als rabbinisches Judentum die einzige bedeutende überlebende jüdische Strömung. Im Neuen Testament werden Vertreter der Pharisäer in polemischer Weise als Heuchler kritisiert und herabgewürdigt. Dieses Prädikat ist in vielen Ländern mit christlicher Tradition umgangssprachlich für den Selbstgerechten oder Heuchler tradiert worden, oder allgemein für Positionen, die in kleinlicher Weise Kritik üben und dabei den Zusammenhang vernachlässigen.

Sadduzäer
Die Sadduzäer (Anhänger der Lehre Zadoks) waren eine in Israel von ca. 150 v. Chr. bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels 70 n. Chr. verbreitete Gruppe des Judentums. Sie beherrschten den Tempel und den Tempelkult. Die Sadduzäer waren die größte Kraft im Sanhedrin (Hoher Rat zur Zeit des Jüdischen Tempels) und stellten mehrmals den Hohepriester. Die Sadduzäer gehörten vor allem den höheren Gesellschaftsschichten an (zum größten Teil Priestergeschlechter und Aristokratie), wobei die Aristokratie von den Pharisäern nicht als solche anerkannt wurde, da sie nicht aus dem Hause David war. Sie glaubten, im Gegensatz zu den Pharisäern, nicht an die mündliche Überlieferung, die heute den Talmud bildet, sondern nur an die schriftlichen Gesetze Mose im Alten Testament. Sie glaubten auch nicht an Führung durch Gott, nicht an die Engel (Apg. 23,8) und auch nicht an die Auferstehung von den Toten (siehe auch Sadduzäerfrage). Dafür sahen sie im Tempeldienst den Schwerpunkt jüdisch-religiösen Lebens. Die Bewegung der Sadduzäer endete daher nahezu zeitgleich mit der Zerstörung des Tempels und Jerusalems durch Titus im Jahre 70.

Zeloten
Die Zeloten waren eine von Judas dem Galiläer und einem Priester mit Namen im Jahre 6 n. Chr. gegründete paramilitärische Widerstandsbewegung der Juden gegen die römische Besatzung. 70 n. Chr. fielen zahlreiche von ihnen bei der Eroberung Jerusalems durch römische Legionäre. Die letzten Aufständischen, die sich nach dem Fall der Stadt in die Bergfestung Masada zurückgezogen hatten, konnten sich noch bis 73 n. Chr. den römischen Legionen widersetzen. Als sie erkannten, dass ihr Widerstand nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte, beschlossen sie als freie Bürger aus dem Leben zu scheiden, töteten alle anwesenden Frauen und Kinder und warfen das Los um zu bestimmen, wer die Pflicht habe seine Kameraden in den Tod zu befördern.

Verschiedene Hypothesen
Jünger haben Jeschua versteckt
Kaiphas hat Jeschua versteckt
Herodes hat ihn versteckt
Es gibt einen Doppelgänger von Jeschua
Jeschua ist gar nicht gestorben

Über den Autor/die Autorin

Eric-Emmanuel Schmitt ist elsässischer Abstammung. Er wurde am 28. März 1960 in St.-Foy-les-Lyon geboren, studierte Klavier in Lyon und Philosophie in Paris. Seine Eltern waren beide Sportlehrer. Schmitt war zunächst Lehrbeauftragter im Fach Philosophie an den Universitäten Besançon und Chambéry. Seit Beginn der 90er Jahre arbeitet er als Romancier, Dramatiker und Autor für Theater, Film und Fernsehen. Schmitt lebt heute in Brüssel. Er gilt als einer der wichtigsten neuen französischen Theaterautoren.

Einen wichtigen Platz in Schmitts Werken nehmen die Weltreligionen ein. In seinem vierteiligen Cycle de l’invisible bemüht sich Schmitt um eine Annäherung der Religionen und Kulturen. Milarepa ist der erste Band dieser Reihe und stellt den tibetischen Buddhismus dar. Seinen zweiten Band, Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran, widmet Schmitt dem Sufismus, einer mystischen Richtung des Islam, den er auf das Judentum treffen lässt. Oscar und die Dame in Rosa hat das Christentum zum Thema und mit Das Kind von Noah, einem Vergleich von Judentum und Christentum, hat Schmitt seine Reihe abgerundet. Aufgewachsen mit der atheistischen Grundeinstellung seiner Eltern bekannte sich Schmitt nach Jahren als Agnostiker später zum Christentum.

Diskussion zum Thema

Gräfin 3 stellte fest: Eigentlich ist es ja ein Osterbuch, und ich gab euch diese Aufgabe über die Weihnachtstage! Dennoch, ein thema, dass ja zu jeder Jahreszeit passt. Das Buch ist relativ jung, aus dem Jahr 2000, der Autor ist ungefähr im selben Alter wie wir, also ebenfalls jung(geblieben)- wir erhalten ausführliche Unterlagen, bereits ins Protokoll eingetragen und zusätzlich eine Kritik; vernichtend! Vielen Dank für deine Recherchen.

Gräfin 6: Sie hatte Spass beim Lesen, vor allem der 2. Teil des Buches hat ihr sehr gut gefallen, obwohl das Thema Religion bei ihr nicht zuoberst steht. Der Einstieg war mühsam und endlos lang. Dennoch findet sie, hat der Autor die Klischees, die da harrten, sehr gut umschifft. Sie konnte aber nicht lange dran bleiben und hat nach 20 -30 Seiten lesen das Buch immer wieder zur Seite gelegen. Es ist einfach nicht ihr Ding. Die vorkommenden Personen mag sie nicht näher kommentieren, ausser die Frau des Pilatus, Claudia Prokula (die allen Gräfinnen gefallen hat).

Pilatur war ihr nicht unsympathisch, und obwohl Gräfin 6 sich als nicht religiös bezeichnet, hat ihr das Buch doch gefallen.

Gräfin 1: Sie war bei der Lektüre hin- und hergerissen. So fand sie es entspannend, dass aramäische Namen gebraucht wurden. Auf diese Art konnte sie eine gewisse Distanz zum Christentum, mit dem sie nicht viel am Hut hat, wahren. Den ersten Teil fand sie interessant; was für ein Mensch war Jeschua eigentlich? Beim 2. Teil fand sie die Krimielemente, die Hypothesen sehr gelungen. Alles war gut lesbar, die Kultur und Geschichte dieser Zeit und Gemeinschaft stand im Einklang. Aber nur kam leider dieser abstruse 3. Teil des Buches, der ihr den ganzen Spass madig gemacht hat. Was wollte der Schriftsteller damit? Warum brachte er sich so sehr in die Geschichte rein? Was soll das? Dieser gegenwartsbezug warf sie total aus der Geschichte raus und verdarb ihr das ganze Buch. Wollte Schmitt sich sauber waschen? Dieser Rechtfertigungsteil ist ihr eindeutig zu lang. Deshalb gibt es viel Abzug bei einer eigentlich gefälligen Story.

Gräfin 5: Jeschua ist ein Mensch. Der erste Teil war nicht schlecht, es führte vor Augen, welche Zweifel auch in diesem Messias, Gottessohn inne wohnten. Er war sich seiner Sache nicht immer sicher, war sich der Mission und des Erfolges nicht gewiss. Diese innere Zerrissenheit kam bei ihr gut rüber. Vom zweiten Teil des Buches war sie begeistert. Der suchende, herumirrende Pilatus, der Theorien ausdachte, sie verwarf, zeigte ihr oft ihr eigenes Spiegelbild. Sie konnte sich in den Unglauben von Pilatus versetzen, dennoch die grosse Faszination und das Staunen nachvollziehen. So sieht sie sich auch in ihrem Glauben, eigentlich christlich, aber nicht kirchlich.

Den dritten Teil hat sie begonnen zu lesen, aber dann einfach ausgeblendet. Nicht fertig gelesen, weggelassen. Für sie war das Buch nach dem Postskriptum des zweiten Teils eh fertig. Da gab es nichts mehr zu erzählen, was relevant gewesen wäre. Für sie war der 3. Teil wie eine Kurzbiographie des Autors, nicht zum Buch gehörend.

Gräfin 2:. Sie hat erst den prolog gelesen, dann den dritten Teil Weshalb? Sie fand den Einstieg in die Geschichte so langweilig, dass sie wissen wollte, ob das bis zum Schluss anhält. Aber da sah sie, dass alles in der Moderne spielt und andere Namen vorkamen, so las sie tapfer weiter. Der erste Teil erschien ihr frömmlerisch, träge; mit einem blutleeren Jeschua als Hauptfigur. Sie merkte, sie mag den Schriftsteller Eric-Emanuelle Schmit nicht. Sie hat nun drei Bücher von ihm gelesen, keines hat ihr gefallen. Sie interessierte sich überhaupt nicht für diese Geschichte, das war ihr alles schon so oft und so vielfältig erzählt worden, sie hatte keinen Bedarf an einer neuen Version.

Den zweiten Teil fand sie bis auf die Idee der Briefform nicht spannend. Aber Kraterios, der kynische Philosoph, der hat ihr mächtig imponiert und die ganze Geschichte erträglich gemacht. Der 3. Teil war reine Nabelschau des Autors: Tipp von ihr: spülen!

Gräfin 4: Der Anfang fiel ihr nicht leicht. Sie bezeichnet sich als christlich und geht gerne und regelmässig in die Kirche. Sie bedauert es auch, dies ihren Kindern nicht mitgegeben zu haben. Der 1. Teil war etwas schwierig, sie fand sich zu Beginn mit den aramäischen Namen nicht zurecht. Es hätte ihr geholfen, wenn sie zuerst den 3. Teil gelesen hätte. Den 2. Teil fand sie ausgezeichnet. Statt Briefform hätten es auch Tagebucheinträge sein können. Wie Pilatus reflektierte, alles hinterfragte, das war genial. Man sollte ja nicht einfach alles blind glauben, was einem vorgesetzt wird. Sie hat bisher zu viel einfach als gegeben hingenommen und mit diesem Buch viele Denkanstösse bekommen. Den 3. Teil empfand sie nicht als Schluss. Sie hätte dies an den Anfang gestellt. Es schien ihr als Ende zu überspannt, es gehört nicht zur Geschichte und ist nicht wesentlich.

Gräfin 3: Der Einstieg war nicht einfach, denn der 1. Teil gefiel ihr nicht besonders. Sie kannte ja Jesus Geschichte in und auswendig. Ausser die neue Rolle des Judas gab es nichts Aussergewöhnliches, aber diese Sichtweise des „Verräters“ faszinierte sie. Vom folgenden Teil war sie absolut begeistert. Wie dieser Pilatus in Jerusalem herumirrt und nach Zeugen und Beweisen sucht, wie er überhaupt die Leiche sucht, das hat ihr super gefallen. Pilatus war für sie wie ein kopfloses Huhn, der die Strassen und Leute mit seinen Theorien, wo Jesus Leiche sein könnte, überrumpelte und anklagte. Dass Pilatur am Schluss der Geschichte durch die Liebe zu seiner Frau zum Glauben findet, hat sie besonders beeindruckt. Beim 3. Teil gefiel ihr der Anfang, der Bezug auf die aramäischen Namen. Doch je weiter dieser Abspann ging, des mehr fragte sie sich:“Was soll das?“

Krönchen: (Durchschnitt: 4)

Zitate

Gräfin 6: S. 64 „Ich war kein Menschenlenker, sonder ein Seelenführer.“

Gräfin 1: S. 213 „Man sagt nie etwas, weil man die ganze Zeit redet.“

Gräfin 3: S. 250 „Zweifel und Glaube sind dasselbe, Pilatus. Nur Gleichgültigkeit ist gottlos.“

Gräfin 5: S. 252 „Er aber hat die Menschen frei gemacht. Und trägt dieser Freiheit Rechnung, indem er uns die Wahl lässt, zu glauben oder nicht zu glauben.“

Gräfin 4: S. 289 „Aber wie funktioniert das mit dem Glauben? Niemand weiss es. Seine Schuld, dass er ihn nicht annehmen konnte, ist nicht grösser als ihre, die ihn nicht weiterzugeben wussten.“

Gräfin 2: S. 294 „Ich empfinde mich als Glied einer langen Kette von Künstlern, die seit Jahrhunderten die Passion darstellen, wie ein Maler, Bildhauer oder Komponist, irgendwo zwischen einen anonymen Kirchenmaler und Rembrandt, einem dörflichen Steinschneider und Michelangelo, einem Sonntagsorganisten und Mozart, der das Motiv auf seine Art bearbeitet.“

Zum Weiterlesen

Oskar und die Dame in Rosa

Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Das Kind von Noah